Kunstwerke, die unter Beachtung des Goldenen Schnittes erstellt wurden, sollen besonders harmonisch oder ästhetisch wirken. Doch was ist das überhaupt, der Goldene Schnitt?
Der Goldene Schnitt – Begriffserklärung
Gegeben sei eine Strecke. Diese Strecke wird so geteilt, dass sich der kleinere Teil zum größeren Teil verhält, wie der größere Teil zur gesamten Strecke. Das folgende Bild veranschaulicht dies.
Die orangene Strecke verhält sich zur grünen Strecke wie die grüne Strecke zur gesamten Strecke (hier schwarz dargestellt).
Den größeren Teil bezeichnet man als Major, der kleinere wird Minor genannt. In Zahlen ausgedrückt ergibt sich ein Verhältnis von ungefähr 1:1,618. Die Zahl 1,618 wird als Phi bezeichnet.
Die Fibonacci-Folge
Als Fibonacci-Zahlen bezeichnet man eine Zahlenfolge, die sich dadurch auszeichnet, dass jede Zahl die Summer ihrer beiden Vorgänger ist:
1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144, 233, …
Bildet man das Verhältnis zweier aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen, so erhält man annähernd das Verhältnis des Goldenen Schnitts. Eine größere Annäherung erreicht man, indem man zwei möglichst große Fibonacci-Zahlen auswählt.
Anwendungsgebiete
Mit Hilfe des Goldenen Schnitts lassen sich Goldene Rechtecke (Seitenverhältnis entspricht dem Verhältnis der Zahlen des Goldenen Schnitts), Goldene Dreiecke, Goldene Ellipsen, Goldene Winkel, Goldene Spiralen usw erstellen.
Kunst
In der Kunst ist es besonders schwer zu entscheiden, ob die Proportionen des Goldenen Schnitts bewusst oder unbewusst eingesetzt wurden. Manchmal wurde auch das 5/8-Verhältnis verwendet, das um ein vielfaches einfacher zu konstruieren ist.
Die Verwendung des Goldenen Schnitts in der Malerei war besonders für Künstler der Renaissance interessant. Bekannte Bilder sind z.B. das Selbstbildnis von Dürer aus dem Jahre 1500 sowie sein Werk „Adam und Eva“, Leonardo da Vincis „Abendsmahl“, „Die Dame mit dem Hermelin“ sowie die „Mona Lisa“, „Die Sixtinische Madonna“ von Raffeal und sein Fresko in der Stanza della Segnatura, das unter dem Namen „Die Schule von Athen“ bekannt wurde. Dieses Werk enthält deutliche Hinweise darauf, dass der Goldene Schnitt verwendet wurde. So befinden sich unter den dargestellten Männern auch Euklid und Pythagoras, die beide eine Tafel vor sich haben, auf der verschlüsselte Hinweise auf den Goldenen Schnitt zu sehen sind.
Ein weiteres Werk, das deutliche Hinweise auf die Verwendung des Goldenen Schnitts gibt, ist der Holzschnitt „Melancholia“ von Albrecht Dürer. Er zeigt in seinem Bild das magische Quadrat, ein Quadrat mit 16 Feldern, die mit den Zahlen eins bis 16 gefüllt sind. Das besondere an diesem Quadrat ist, dass man immer wieder auf die Zahlenkombination 21:13 trifft, wenn man benachbarte Zahlen addiert.
Auch Fotografen halten sich bis heute an den Goldenen Schnitt, um eine harmonische Bildkomposition zu erzielen.
Architektur
Bereits beim Pyramidenbau soll auf den Goldenen Schnitt geachtet worden sein. So weist die Höhe einer Seitenfläche der Cheopspyramide im Verhältnis zur Hälfte der Basiskante recht genau das Verhältnis des Goldenen Schnitts auf. Sie hat also die Form einer goldenen Pyramide. Fertiggestellt wurde die Cheopspyramide etwa 2580 v. Chr. Die etwas ältere Pyramide von Meidum besaß ebenfalls die Form einer goldenen Pyramide, war jedoch kleiner als die Cheopspyramide und ist leider eingestürzt.
Auch Stonehenge wurde bereits mit Hilfe der Fibonacci-Zahlen geplant und errichtet.
Ein sehr berühmtes Beispiel für die Verwendung des Goldenen Schnitts in der Architektur sind die griechischen Tempel, darunter im besonderen Maße der Parthenon-Tempel, der 447-432 v. Chr. auf der Athener Akropolis errichtet wurde. Neben der Symmetrie, die diesen Bau kennzeichnet, ist auch die Verwendung der Proportionen des Goldenen Schnitts auffällig, die eine erstaunliche Genauigkeit aufweisen. Dieses bezieht sich auf Höhe, Breite und Länge des Gebäudes, sowie der Höhe und den Durchmesser der Säulen. Unklar ist jedoch noch immer, ob diese Proportionen bewusst oder intuitiv verwendet wurden.
Das Theater von Epidauros ist so durchdacht worden und an allen Stellen mit Hilfe des Goldenen Schnitts konstruiert worden, dass sich dieses selbst in kleinsten Details wie den Sitzen widerspiegelt.
Verschiedene Amphitheater lassen den Goldenen Schnitt erkennen. Darunter das berühmte Kolosseum, das die Form einer goldenen Ellipse aufweist.
Andere Beispiele für Architektur, die unter Verwendung des Goldenen Schnitts erbaut wurde, sind die Petersbasilka zu Rom, der Kölner Dom, der Limburger Dom, der Dom von Florenz, die Kathedrale Notre Dame in Paris, die Kirche Sainte-Trinité in Caen, El Tajin in Mexiko, der Katsura-Palast in Japan, die Triumphbögen des Kaisers Augustus in Rom sowie die Torhalle in Lorsch.
Sonstiges
Der Goldene Schnitt und die Fibonacci-Zahlen bilden eine gute Grundlage zur harmonischen Raumaufteilung und sind somit auch für den Graphiker und Typographen interessant. Man denke nur an folgende Beispiele: das Format (z.B. eine Visitenkarte im Goldenen Schnitt), die Blattaufteilung, den Satzspiegel, die Kombination verschiedener Schriftgrade auf einer Seite und den Stand einer Linie oder bestimmter Schmuckelemente auf der Seite.
Ebenso findet der Goldene Schnitt Anwendung im Produktdesign. Beispielsweise beim Entwurf von Möbeln.
Wer den Goldenen Schnitt in der Musik sucht, wird ihn auch dort wiederfinden. So versuchte Ernö Lendvai nachzuweisen, dass Béla Bartóks den Goldenen Schnitt als Kompositionsgrundlage für seine Stücke benutzte. Ob es sinnvoll ist, Musikstücke nach dem Goldenen Schnitt zu komponieren und ob dieses gewollt eingesetzt wurde bleibt fragwürdig.
Im Geigen- und Flötenbau dagegen wird der Goldene Schnitt häufig verwendet um besonders klangschöne Instrumente zu erschaffen.
Übrigens kennt ihr alle ein Papierformat, welches dem goldenen Schnitt entspricht: Es handelt sich um eine gewöhnliche Spielkarte, zum Beispiel aus einem Skat-Spiel.
In der Schönheitschirurgie und bei der Wiederherstellung von Körperteilen leisten die Erkenntnisse über den Goldenen Schnitt im menschlichen Körper gute Dienste. Sie erlauben ein möglichst naturgetreues und harmonisches Nachempfinden des Körpers. Gleiches gilt für die Arbeit der Zahntechniker.
Der goldene Schnitt in der Natur
Pflanzen
Kaum jemand weiß, dass wir täglich den Goldenen Schnitt um uns sehen – in Form von Pflanzen. Es gibt unzählige Beispiele von verschiedensten Pflanzen, die auf die eine oder andere Weise den Goldenen Schnitt aufweisen.
Zum einen kann es sein, dass die Blätter im Abstand des Goldenen Winkels zueinander angeordnet sind. Unter dem Goldenen Winkel versteht man den Winkel, der 360° im Verhältnis des Goldenen Schnitts teilt, folglich den Winkel 137,5°. Man nennt dieses Phänomen Phyllotaxis. Durch diese Anordnung der Blätter kann das Sonnenlicht optimal ausgenutzt werden. Außerdem ist davon auszugehen, dass dadurch der Nährstofftransport der Pflanze begünstigt wird. Es könnte aber auch sein, dass der Weg des geringsten Wiederstandes gesucht wird. Das bedeutet, dass neue Triebe möglichst weit entfernt von bereits bestehenden Trieben entstehen. Pflanzen bei denen dieses Phänomen auftritt sind u.a. Kohlarten und Kiefernnadeln an jungen Ästen.
Fibonacci-Zahlen tauchen in der Natur oftmals dort auf, wo Spiralen gegeneinander laufen. Beispiele hierfür sind Fichtenzapfen und Sonnenblumen.
Rudolf Engel-Hardt untersuchte Eichenblätter, indem er ihre Höhe und Breite miteinander verglich. Von 500 Eichenblättern verschiedener Bäume besaßen 235 Blätter genau die Proportionen des Goldenen Schnitts. Die restlichen Blätter wichen in den meisten Fällen nur minimal von diesen Proportionen ab.
In vielen fünfzähligen Blüten und Blättern lässt sich ebenfalls der Goldene Schnitt nachweisen; beispielsweise bei der Heckenrose oder dem Efeu.
Andere Pflanzen, bei denen der Goldene Schnitt anzutreffen ist, sind der Goldregen, die Alpengänsedistel, die Maiblume, die Rose, verschiedene Palmen- und Yuccaarten, die Glockenblume, die Pappel, Tannen- und Pinienzapfen, die Schlüsselblume, einige Kakteenarten, der Klatschmohn, der Reiherschnabel, der Hahnenfuß, die Ananas, einige Kürbisarten, der Birnbaum, viele Zitrusfrüchte, die Kartoffel, die Möhre, und viele andere.
Tiere
Auch bei einigen Tierarten lässt sich der Goldene Schnitt nachweisen, so z.B. beim Seestern, bei einigen Ameisenarten oder beim Hai.
Menschen
Im 19. Jahrhundert glaubte man, dass der Goldene Schnitt vielfach im Körper des Menschen zu finden ist. Dieses ist heute allerdings umstritten, da man der Ansicht ist, dass jeder Mensch etwas anders geformt ist und die Proportionen des Goldenen Schnitts höchstens annähernd in sich trägt. So erkennt man bei genaueren Untersuchungen Abweichungen von bis zu 20%.
Eine weit verbreitet Annahme ist, dass der Nabel den ganzen Körper im Goldenen Schnitt teilt und der untere Teil wiederum am Knie geteilt wird, während der obere Teil sich wiederum am Kinn teilen lässt. Vergleicht man die Breiten der oberen beiden Schneidezähne, so erkennt man wiederum den Goldenen Schnitt. Viele weitere Beispiele lassen sich am Kopf, an der Hand und am übrigen Körper finden.
(Für Bildhauer war und ist es eine Hilfe, sich bei der Anfertigung einer Statue nach dem Goldenen Schnitt zu richten um besonders schöne und harmonische Proportionen herauszuarbeiten.)
Sonstiges
Des weiteren treten Fibonacci-Zahlen und der Goldene Schnitt auch bei Schneekristallen auf.
Arbeitsblätter
Natürlich habe ich euch wie immer einige Arbeitsblätter passend zum Thema vorbereitet. Auf dem ersten könnt ihr Schritt für Schritt lernen eine Goldene Spirale zu zeichnen.
Das zweite Arbeitsblatt soll euch darin unterstützen den Goldenen Schnitt in der Fotografie anzuwenden.
Weitere Arbeitsblätter findet ihr wie immer auf Eduki:
- Der Goldene Schnitt in der Fotografie
- Der Goldene Schnitt als Kompositionsgrundlage
- Goldene Spirale zeichnen – Fibonacci-Folge visualisieren
Fazit
Der Goldene Schnitt umgibt uns täglich und fast überall. Er zeigt sich auf unterschiedlichste Weisen: offen in der Kunst oder der Architektur, versteckter in der Natur, im Menschen selbst sowie in unserer Umgebung.
Neben den theoretischen Berechnungen rund um den Goldenen Schnitt gibt es somit eine Menge praktischer Beispiele. In diesem Blogartikel konnten natürlich nicht alle Verwendungen der Goldenen Schnitts und der Fibonacci-Zahlen vorgestellt werden. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird den Goldenen Schnitt noch vielfach an anderen Stellen wiederfinden.