Heute folgt der dritte Teil meiner kleinen Serie zur kindlichen Kreativität. Zunächst habe ich dir in meinem Artikel „6 Gründe gegen Ausmalbilder“ dargelegt, warum ich der Auffassung bin, dass Ausmalbilder weder Kreativität noch Selbstausdruck des Kindes fördern, sondern diese vielmehr verhindern. Danach gab ich dir in meinem Artikel „So förderst du die Kreativität deines Kindes – Malen und Zeichnen lernen für Anfänger“ viele unterschiedliche Anregungen zu einer Umgebung, die Kreativität fördert, sowie zu kreativen Angeboten, die du deinem Kind machen kannst. Im letzten Teil meiner Serie soll es nun um die Inspiration gehen.

Inspiration? Was ist das überhaupt?

Kennst du das Gefühl, wenn du plötzlich diesen genialen Gedanken hast? Die erhellende Idee? Den schöpferischen Einfall? Diese Eingebung nennen wir „Inspiration“.

Manchmal hat man das Gefühl, die Inspiration fiele förmlich vom Himmel. Ohne dass wir etwas dazu beitragen können oder müssen. Wie ist es also möglich die Inspiration zu fördern?

Die gute Nachricht ist: In der Regel müssen wir sie gar nicht fördern! Unsere Kinder sind aus sich selber heraus schöpferisch tätig und sprühen nur so vor Ideen. Sie bauen die größten Sandburgen, erschaffen ganze Welten mit ihren Bausteinen, füllen viele Seiten mit den kreativsten Buntstiftzeichnungen.

Scheinbar sind unsere Kinder ständig inspiriert. Und das ist gut so.

Manchmal hingegen scheint die Inspiration und die gesamte Kreativität plötzlich auf der Strecke zu bleiben. In diesen Fällen sollten wir genau hinschauen. Was ist es, das unser Kind blockiert? Ist es vielleicht schulischer Stress oder sind es zu lange Phasen am Handy oder Computer? Als Eltern haben wir die Aufgabe darauf zu achten, dass unser Kind in Balance bleibt. Fehlende Inspiration kann ein Hinweis darauf sein, dass etwas in Schieflage geraten ist.

Wo finden wir Inspiration?

Frage dich am besten einmal selber, wo du deine Inspiration her nimmst. Ist es der Sport? Das Haustier? Yoga? Ein langer Spaziergang am Meer? Was inspiriert dich?

Natur

Viele Menschen empfinden die Natur als große Quelle der Inspiration. Auch mir geht es so. Wenn ich im Wald spazieren gehe oder durch die Felder streife, wenn die Sonne mein Gesicht wärmt und die Wolken vorbei ziehen, wenn ich farbenfrohe Blüten und kräftige, grüne Blätter sehe, dann komme ich zur Ruhe. Und plötzlich ist er da: Der Einfall! Die Idee, was ich zeichnen oder schreiben könnte.

Kindern geht es oft ähnlich. Sie lieben es in der Natur zu spielen und alles zu entdecken. Sie springen in die Pfützen, buddeln in der Erde, retten einen Regenwurm oder pflücken einen Blumenstrauß. Kinder nehmen die Natur mit allen Sinnen wahr. Wenn sie einen Käfer beobachten, scheint die Welt kurz still zu stehen. Es ist, als ob sie jede Bewegung des kleinen Tierchens in sich aufsaugen würden. Nebenbei studieren sie die Größe, den Körperbau und die Farbe des Käfers. In diesem Moment gibt es nur noch das Kind und den Käfer. Die übrige Welt steht still. Kein Wunder, wenn weniger Stunden oder Tage später ein erstaunlich detailreicher Käfer in der Kinderzeichnung zu finden ist.

Wenn du deinem Kind also in Sachen Inspiration auf die Sprünge helfen möchtest, wäre der erste und einfachste Schritt ein Ausflug in die Natur. Dabei darf es ruhig abwechslungsreich zugehen. Hier einige Beispiele:

  • Eine Wanderung am Berg mit einer beeindruckenden Aussicht
  • Ein Ausflug zum Bach mit einer ausgedehnten Pause um einen Staudamm zu bauen
  • Ein Besuch am Strand um Muscheln zu suchen und Sandburgen zu bauen
  • Ein kleines Kletterabenteuer am Fels
  • Ein Picknick auf der Wiese bei dem man all die kleinen Insekten beobachten kann
  • Eine Wanderung im Wald um Blätter und Kastanien zu sammeln
  • Ein Besuch am See, wo man Steine über das Wasser flitschen lassen kann

Museen

Auch ein Besuch im Museum kann für Inspiration sorgen. Und dabei meine ich nicht nur das typische Kunstmuseum. Im Prinzip ist jedes Museum geeignet, vorausgesetzt das Kind interessiert sich für das jeweilige Thema. Ein Besuch im Technikmuseum kann dafür sorgen, dass die Zeichnungen eines technikbegeisterten Kindes plötzlich viel facettenreicher werden. Das dinosaurierbegeisterte Kind wird die Eindrücke aus einem Dinopark ganz sicher in seinen nächsten Kunstwerken verarbeiten.

Als meine Tochter knapp zwei Jahre alt war, nahm ich sie mit in ein Kunstmuseum. Es waren in erster Linie egoistische Gründe. Ich wollte endlich mal wieder echte, große Kunstwerke bestaunen. Doch wie sich herausstellte, war dieser Museumsbesuch für uns beide spannend. Meine Tochter fand in beinahe jedem Bild einen Apfel. Auch in den abstrakten Gemälden. Ich war verblüfft.

Besonders lange haben wir uns an einer Skulptur aufgehalten, welche eine Kirche mit Rutsche darstellte. Die Kinder durften die Stufen zum Kirchturm hoch steigen, oben die Kirchturmglocke läuten und dann die Rutsche runter rutschen. Meine Tochter fand die Rutsche toll, schaute sich aber auch viele andere Details (wie zum Beispiel ein Kirchenfenster oder den Minigebetsraum im unteren Teil der Kirche) sehr genau an. Wir verbrachten bestimmt eine halbe Stunde damit die Skulptur von allen Seiten zu erforschen.

Wieder zu Hause angekommen nahm meine Tochter die Bauklötze aus dem Regal und baute eine kleine Kirche auf, die sehr große Ähnlichkeit mit der Skulptur aus dem Museum hatte. Ich war baff.

Dieses ungewöhnliche Ereignis zeigte mir eindrücklich, dass auch sehr kleine Kinder bereits großen Nutzen aus dem Besuch eines Museums ziehen können. Darüber hinaus macht es deutlich, dass ein Museumsbesuch nicht nur für uns Erwachsene inspirierend sein kann!

Ruhe

Doch Inspiration kann man auch aus der Ruhe schöpfen. Es muss nicht immer ein aufregender Ausflug sein! Hier sind einige Ideen, die auch schon für Kinder umsetzbar sind:

  • Yoga (zum Beispiel mit Yoga-Karten, die einfache, kindgerechte Übungen zeigen)
  • Autogenes Training mit einer kindgerechten Geschichte
  • Eine Phanatasiereise
  • Mit geschlossenen Augen einer ruhigen Musik lauschen (zum Beispiel klassische Musik für Kinder)
  • kuscheln

Anderes

Menschen sind verschieden. Deshalb fühlen sich nicht alle durch die gleichen Reize inspiriert. Schau auf dein Kind. Vielleicht wartet seine Inspiration in einem Uhrenladen? Faszination und Inspiration liegen häufig nah beieinander. Wofür begeistert sich dein Kind? Vielleicht fühlt es sich durch die vielen unterschiedlichen Stoffe eines Stoffladens angeregt? Die Farben, die Muster und vor allem das haptische Gefühl. Vielleicht ist es aber auch ein Flohmarkt mit all den alten Sachen, die neue Ideen in deinem Kind hervorbringen?

Experimentiere und schaue, was für euch der richtige Weg ist.

Was die Kreativität bremst und hindert

Doch die größte Idee und der beste Einfall nützen nichts, wenn das Kind innerlich blockiert ist. So eine innere Blockade kann sich zum Beispiel in dem Gedanken „ich kann doch eh nicht zeichnen / malen / schreiben“ äußern. Doch woher kommen diese Blockaden? Hier einige Ideen:

Ausmalbilder und Schritt-für-Schritt-Zeichenanleitungen

Wie bereits im ersten Teil meiner kleinen Serie beschrieben, halte ich nichts von Ausmalbildern. Sie wirken in meinen Augen wie Kreativitäts-Killer.

Ähnliches gilt für Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Sie erwecken den Anschein zu helfen. Da wird beispielsweise Schritt für Schritt erklärt, wie man einen niedlichen, kleinen Pandabären zeichnet. Doch was lernt das Kind daraus? Es lernt weder etwas über die Anatomie eines Pandabären noch irgendetwas, was ihm bei späteren, anderen Zeichnungen in irgendeiner Weise nützlich sein könnte. Vielleicht zeichnet es mit Mühe und Not eine Kopie des niedlichen, kleinen Pandabären. Doch woher soll es im Anschluss wissen, wie es ein niedliches Zebra oder eine niedliche Giraffe zeichnen soll? Diese Art der Anleitungen sind nicht nachhaltig. Und das führt zu Frustration!

Meine Empfehlung lautet daher: Weg mit den Schritt-für-Schritt-Zeichenanleitungen. Lass dein Kind lieber experimentieren und seinen eigenen Weg finden.

Starre Vorgaben und laute Kritik

Insbesondere im Kindergarten und später im Kunstunterricht wird das Kind auf starre Vorgaben stoßen was und wie es zu malen hat. Zum Beispiel: „Male eine nächtliche Landschaft mit Dorf angelehnt an van Goghs Werk „Sternennacht“. Nutze Wasserfarben und Din A3 Papier.“

Die Kreativität des Kindes wird durch solch starre Vorgaben entsetzlich beschnitten. Es ist wenig verwunderlich, wenn das Ergebnis verkrampft oder langweilig wirkt. Obendrein muss das Kind eine schlechte Bewertung oder gar Benotung befürchten. Dabei wäre es doch toll, wenn die Kreativität allein der Kreativität wegen ausgelebt werden dürfte.

Kritik von Seiten der Lehrer oder auch der Eltern kann meines Erachtens nach ein großer Auslöser für spätere Ängste und Blockaden sein.

Seit über zehn Jahren arbeite ich als Designerin und Illustratorin. Auf meinem Weg hierher haben mich mehr als zwanzig Zeichenlehrer begleitet. Angefangen in der Schule, über das Studium bis hin zu diversen Fortbildungen. Dazwischen besuchte ich Kurse in der VHS und in Kunstschulen.

Jeder Lehrer war einzigartig. Einer war der Meinung, in jedes Bild gehöre ein wenig rosa. Ein anderer liebte die moderne, abstrakte Kunst und ich wusste, dass ich gute Noten erhalten würde, würde ich nur ausreichend abstrakt arbeiten. Eine Aktzeichenlehrerin hatte ein Faible für übertrieben runde Formen. Die Menschen, die ich zeichnete, waren ihr zu spitz und zu schlank. Ein anderer Aktzeichenlehrer raunzte mich an: „Was ist denn das? Die ist ja mindestens im achten Monat schwanger!“. Jeder war anders und jeder setzte andere Maßstäbe. Das war zum Teil schwierig, denn hatte ich beim einen Lehrer das Gefühl endlich alles richtig zu machen, so konnte es passieren, dass ich beim nächsten Lehrer das Gefühl hatte überhaupt gar nichts zu können.

Der Künstler ein sensibler Mensch. Der kreative Schaffensprozess ist ein fragiles Gebilde. Kunst zu schaffen ist mutig. Ich denke, wir sollten diesen Mut anerkennen, indem wir das Kind vor allem loben und fördern, statt es durch zu starre Vorgaben oder zu laute Kritik einzuengen oder gar zu verunsichern.

Dazu ist es auch notwendig den Kunstbegriff weit auszulegen: malen, zeichnen, basteln, formen, modellieren, Modelle bauen, Graffiti, Comic, Kalligrafie, nähen, stricken, weben, … das alles und noch viel mehr kann Kunst sein! Ermögliche deinem Kind alles auszuleben, was in ihm steckt.

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