Es ist der Klassiker unter den Geschenken für Kinder: Ein hübsches Buch mit Ausmalbildern. Warum ich persönlich denke, dass dies der Kreativitäts-Killer schlechthin ist und einem Kind niemals dabei helfen wird das Malen oder Zeichnen zu erlernen, möchte ich euch heute in meinen sechs Gründen gegen Ausmalbilder darlegen. Los gehts:

  1. Malvorlagen unterdrücken den Selbstausdruck

Was macht einen Künstler aus? In der Regel ist es der völlig einzigartige Stil gepaart mit Selbstausdruck. M. C. Escher wurde für seine unmöglichen Figuren bekannt. Franz Marc erkenne ich an seinen leuchtend, bunten Tierbildern. Und Niki de Saint Phalle schuf farbenfroh gemusterte Skulpturen weiblicher Körper. Wir könnten dieses Spiel ewig so weiter treiben. Jeder große Künstler hat seine ganz eigene Ausdrucksweise gefunden. Und letztendlich ist es doch genau das, was Kunst ausmacht: Ein Künstler möchte seine ganz persönliche Sicht auf die Welt zum Ausdruck bringen.

Dies gilt auch für die kleinen Künstler. Wenn ein Kind vor einem weißen Blatt Papier sitzt und dieses mit seiner Zeichnung füllt, dann möchte es damit sein eigenes Weltbild zu Papier bringen. Begeistert erzählt es in seinen Bildern von fliegenden Einhörnern, die in seinem Kopf kreisen, vom Spiel mit seinen Freunden oder von der Trauer, die es verspürt hat, als der geliebte Luftballon davon geflogen ist.

Ausmalbilder lassen keinen Platz für diese persönliche Komponente. Sie geben das Motiv sowie die Linienführung starr vor und lassen keinen Raum für zusätzliche Ideen. Lediglich die Farbwahl bleibt dem Kind überlassen. Einige Kinder wehren sich gegen diese Mauern, indem sie willentlich über die Linie malen, ein eigenes Motiv oben drauf setzen oder eigenwillige Farbkombinationen wählen. Es sei ihnen gegönnt.

  1. Nur durch Experimente und Mut lassen sich neue Ausdrucksmöglichkeiten finden

Viele Künstler sind zu Wegbereitern für neue Kunstrichtungen geworden. Neues kann nur dort entstehen, wo man bereit ist alte Pfade zu verlassen. Nur weil jemand so „frech“ war sein Bild in einzelne Bildpunkte aufzulösen, konnte der Pointillismus entstehen. Joseph Beuys begeisterte (und irritierte) als Aktionskünstler mit völlig neuen Ideen. Christo verhüllte ganze Gebäude. Künstler auf der ganzen Welt erproben neue Techniken, fügen andere Materialien hinzu oder kombinieren Dinge miteinander, die nie zuvor miteinander kombiniert wurden. So schaffen sie neue, atemberaubende Kunstwerke!

Kinder experimentieren gerne. Ständig kommen sie auf neue Ideen. Kann man mit Straßenkreide auf Tapete malen? Wie sieht es aus, wenn ich den Stein mit dem Kugelschreiber bemale? Auch wenn wir Eltern nicht immer begeistert von diesen Experimenten sind, so zeugen sie doch von großer Kreativität.

Malvorlagen bieten keinen Platz für Experimente. Hier kann nichts Neues entstehen. Schade.

  1. Ausmalbilder geben den gesamten Bildaufbau vor

Der Bildaufbau, auch Komposition genannt, entscheidet darüber wie ein Bild auf den Betrachter wirkt. Wichtige Elemente werden groß dargestellt. Unwichtigeres rückt in den Hintergrund. Horizontale Linien erzeugen Ruhe. Diagonale Linien hingegen Dynamik. Auch die Entscheidung darüber, ob man ein Hoch- oder ein Querformat wählt hat einen großen Einfluss auf die Darstellung. Querformate wirken in der Regel ruhiger und werden daher häufig für Landschaftsgemälde gewählt. Diese und viele weitere Überlegungen gehen in die Gesamtkomposition ein.

Werfen wir einen Blick auf Kinderzeichnungen. Auch hier können wir kompositorische Gedanken wiederfinden. Wie die großen Künstler stellen Kinder wichtige Dinge groß dar. So können Hände überproportional groß gezeichnet sein, wenn diese gerade einen wichtigen Gegenstand halten oder eine für das Kind wichtige Handlung vollziehen. Ruhige Landschaften mit Blumen, Bäumen, einem Haus und einer Familie werden von Kindern häufig ins Querformat gesetzt. Auch Aspekte wie Reihung, Rhythmus, Kontrast, Symmetrie und Perspektive lassen sich in Kinderzeichnungen wiederfinden.

Wenn wir unserem Kind jedoch ein Ausmalbild vorsetzen, ist der gesamte Bildaufbau bereits vorgegeben. So rauben wir ihm die Möglichkeit, diese wichtigen Gestaltungsmöglichkeiten selber zu erproben und anzuwenden.

  1. Strichführung und Schattierungen machen ein Bild lebendig

Wenn wir uns Zeichnungen großer Künstler einmal genauer anschauen, so erkennen wir, dass der Stift an einigen Stellen stärker aufgedrückt wurde als an anderen. So entstehen starke und schwache Linien. Aber auch dicke und dünne Linien. Manchmal sind die Striche gerade, an anderer Stelle gebogen. Sie können sich kreuzen, so dass Schraffuren entstehen, die Bildtiefe erzeugen. Linien können zittrig gesetzt sein. Oder zielstrebig. All dies erzeugt Lebendigkeit. Eine Zeichnung lebt von der Abwechslung in der Strichführung.

Auch Kinder setzen diese Merkmale ein, wenn man ihnen ermöglicht frei zu zeichnen. Sie machen lange und kurze Striche, drücken den Stift fest oder leicht auf, usw.

Malvorlagen geben alle Konturen vor. Das Kind bekommt dein Eindruck, die einzelnen Flächen nur noch farbig ausmalen zu müssen um ein „schönes“ Bild zu erhalten. Leider wirken diese Bilder in der Regel flach und langweilig. Die Spannung fehlt. Die Lebendigkeit fehlt. Dies liegt vor allem an der fehlenden Schattierung sowie der eintönigen, vorgegebenen Strichführung.

  1. Farben beeinflussen Gefühle

Sprechen wir über Farben. Hier müsste das Ausmalbild doch endlich punkten können.

Warme Farben wie rot oder orange erzeugen in uns ein wohlig warmes Gefühl. Kalte Farben wie blau oder grün hingegen lassen uns frösteln. Mischen wir weiß in unsere Farbe, so erzeugen wir einen Pastellton, der viel dezenter wirkt. Nutzen wir Komplementärfarben (also diejenigen Farben, welche sich im Farbkreis genau gegenüber liegen), so erzeugen wir starke Kontraste. Diese und viele weitere Aspekte werden in der sogenannten Farbenlehre zusammengefasst.

(Schau dir hierzu gerne auf meinen Blogartikel „Farben mischen – Der Einstieg in die Farbenlehre“ an.)

All diese Dinge könnte man tatsächlich in einem Ausmalbild anwenden. Jedoch gebe ich zu bedenken, dass eine Farbe immer auch in Bezug auf ihre Fläche wirkt. Stell dir eine große grüne Farbfläche vor auf der ein einziger, kleiner, roter Punkt ist. Dieser Punkt leuchtet richtig hervor. Ganz anders wirkt das Bild, wenn es zu gleichen Teilen mit rot und grün gefüllt ist. Ebenso verändert sich die Wirkung bei einer großen, roten Fläche und einem kleinen, grünen Punkt. Obwohl wir in allen drei Fällen den Komplementärkontrast rot-grün verwendet haben, ergeben sich drei unterschiedliche Wirkungen. Um die gewünschte Wirkung in einem Ausmalbild zu erzielen muss man also entweder Glück haben und zufällig passend geformte Ausmalfelder vorfinden oder die gesamte farbliche Komposition genauestens planen.

Ich denke, es ist wesentlich einfacher die unterschiedlichen Wirkungen von Farbe auf einem weißen Papier als auf einem Ausmalbild zu erforschen.

  1. Ausmalbilder töten die Kreativität

Okay, ich gebe zu, das ist jetzt etwas drastisch ausgedrückt. Doch bin ich davon überzeugt, dass ein Kind tatsächlich zu der Auffassung „ich kann nicht malen“ gelangen kann, wenn es regelmäßig Malvorlagen ausmalt und nur sehr selten eigene Ideen frei zu Papier bringt. Denn so wird es natürlicherweise seine eigenen Zeichnungen mit den scheinbar perfekten Ausmalbildern vergleichen und stets feststellen, dass die Ausmalbilder anders (vermeintlich besser) aussehen. Ausmalbilder werden von Erwachsenen entworfen. Das wissen auch Kinder. Ausmalbilder werden den Kindern von Erwachsenen angeboten. Nicht selten mit den Worten: „Jetzt mal mal was Schönes.“ So ist es kein Wunder, dass Kinder davon ausgehen, dass die gezeigten Motive besser sind als ihre eigenen Darstellungen.

Ich möchte dem widersprechen. In meinen Augen sind Kinderzeichnungen so viel lebendiger, ausdrucksstärker und kreativer als jede noch so schön ausgemalte Malvorlage. Zudem versprühen Kinderzeichnungen häufig diesen einzigartigen Charme, beinhalten witzige Elemente und sind einfach einmalig!

Wo Ausmalbilder Sinn machen

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass Ausmalbilder die kindliche Kreativität negativ beeinflussen und entgegen der landläufigen Meinung nicht dazu beitragen das Malen oder Zeichnen zu erlernen.

Bleibt die Frage ob es überhaupt einen Anwendungsfall gibt, in dem Malvorlagen Sinn machen und positives bewirken können. Ja, den gibt es tatsächlich. Und zwar dort, wo das Motiv einen Gegenstand oder einen Sachverhalt zeigt, welcher dem Kind bis dato noch nicht bekannt war. Voraussetzung dafür ist eine realitätsnahe Darstellung!

Ganz konkret spreche ich von der detaillierten Darstellung einer Frühlingsblume, auf der die Proportionen von Blumenzwiebel, Wurzeln, Stängel, Blüte und Blätter zueinander deutlich wird. Hier kann das Kind zum Beispiel die einzelnen Blütenblätter abzählen und das Ergebnis beim Anmalen verinnerlichen. Auf diese Weise kann es sich viel Wissen über die Merkmale einzelner Pflanzen aneignen.

Auch technische Zeichnungen können von einigen Kindern besser durchdrungen werden, indem sie diese ausmalen. So können beispielsweise die Wege, welche eine bestimmte Flüssigkeit oder ein Material nimmt, mit dem Stift nachgefahren werden oder wichtige Bauteile farblich hervorgehoben werden.

Darüber hinaus möchte ich noch eine zweite Gruppe an Ausmalbildern hervorheben, die sinnvoll sein können: Die Mandalas. Beim Ausmalen eines Mandalas geht es häufig weniger darum seiner Kreativität freien Lauf zu lassen als vielmehr um die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen und einer meditativen Tätigkeit nachzugehen. Für diesen Zweck sind sie meiner Meinung nach gut geeignet.

So förderst du die Kreativität deines Kindes

Jetzt haben wir ganz viel darüber gesprochen wie man die Kreativität seines Kindes NICHT fördert. In den nächsten Tagen werde ich dir in einem weiteren Beitrag viele Ideen dazu geben, was du alles tun kannst um die Kreativität deine Kindes mit viel Freude zu fördern. In der Zwischenzeit kannst du vielleicht all die angefangenen Ausmalbücher und ausgedruckten Malvorlagen aus deiner Wohnung verbannen und mit Genuss in der Mülltonne versenken.

Vielleicht gefällt dir auch das:

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert