In der Grundschule sollen die Kinder langsam an das freie Schreiben herangeführt werden. Damit ist gemeint, dass sie in die Lage versetzt werden sollen eigene, kleine Texte zu schreiben. Bestenfalls handelt es sich dabei um kreative Geschichten, logisch aufgebaute Erzählungen oder einfühlsam formulierte Briefe.
Schulische Schreibanlässe
Üblicherweise werden in der Grundschule sogenannte „Schreibanlässe“ von den Lehrern verteilt, an Hand derer das Kind zu schreiben beginnen soll. Diese Schreibanlässe sollen dem Kind eine Idee vermitteln, worüber es schreiben könnte. Hier einige typische Beispiele:
- eine angefangene Geschichte, die zu Ende geführt werden soll
- ein Bild oder eine Bildergeschichte, zu der das Kind eine vollständige Geschichte schreiben soll
- eine verrückte Fragestellung wie zum Beispiel: „Stell dir vor, in deinem Garten würde ein Alien landen. Was würdest du tun?“
- drei vorgegebene Wörter, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, sollen in einer Geschichte miteinander verwoben werden
Ich behaupte jedoch, dass Schreibanlässe dieser Art kontraproduktiv sind. Denn eigentlich wissen Kinder ganz genau, was sie schreiben wollen. Sie wollen schreiben, um sich selber mitzuteilen! Um ihre eigene Botschaft in die Welt hinaus zu tragen.
Kindliche Botschaften
Dabei kann es sich um ganz unterschiedliche Botschaften handeln. Die erste geschriebene Botschaft meiner Tochter fand ich auf meinem Einkaufszettel. Sie lautete „Eis“. Ich habe keine Ahnung, wann sie ihren Wunsch auf meinen Zettel setzte und sie kommentierte es auch nicht weiter. Also kaufte ich, was auf dem Zettel stand. Damit zeigte ich ihr, wie wichtig mir ihre Nachricht war.
Später folgten viele kleine Briefchen an Menschen, die ihr nahe stehen. Immer wieder fand ich auf meinem Schreibtisch kurze Nachrichten. „Mama, ich hab dich lib“, stand dort. Oder ich erhielt eine kleine Zeichnung mit der Aufschrift „für Mama“. Sie schrieb Einladungskarten, lange bevor sie tatsächlich Geburtstag hatte. Denn der Wunsche mitteilen zu können, dass sie jemanden unbedingt zum Geburtstag einladen möchte, war größer als jede zeitliche Hürde.
Kindliche Schreibanlässe
Wenn man einmal genau hinsieht, so gibt es im Leben meiner Tochter haufenweise Schreibanlässe. Diese kommen allerdings nie von ihren Lehrern oder von mir, sondern immer aus ihr selbst heraus. Sie möchte etwas mitteilen. Das ist ihr ganz persönlicher Anlass um etwas aufzuschreiben. Manchmal schreibt sie sich kleine Listen. Ein anderes Mal erfindet sie eine ganze Geschichte für ihre Freundin und schreibt sie voller Begeisterung nieder.
Ich bin fest davon überzeugt, dass jedes Kind frei schreiben kann. Ganz ohne vorgegebene Schreibanlässe. Ich glaube, das eigentliche Problem besteht vielmehr darin, dass bereits die Grundschulkinder (ebenso wie die meisten Erwachsenen) davon überzeugt sind, nicht schreiben zu können. Wahrscheinlich, weil sie zu oft gehört haben, dass etwas an ihrer Schreibe falsch sei. Vielleicht wurde die Rechtschreibung so oft kritisiert, dass allein der Gedanke an die Groß- und Kleinschreibung oder die korrekte Kommasetzung jeglichen kreativen Ideenfluss unterbindet. Oder die formalen Bedingungen eines Briefes (wo gehört das Datum hin? Wie lautet die richtige Grußformel?) stehen so sehr im Vordergrund, dass die eigentliche Information, die durch den Brief übermittelt werden sollte, in den Hintergrund gerät. Vielleicht hat das Kind zu oft gehört, seine Texte seien nicht abwechslungsreich genug. Wer mag schon frei schreiben, wenn das Ergebnis doch nur langweilig und öde ist?
Daher mein Appell: Lasst die Kinder schreiben! Lasst sie frei schreiben, was sie wollen. Sie haben so viel mitzuteilen…